Kindertransporte - die Rettung jüdischer Kinder ins Ausland nach den Pogromen von November 1938
 

Vortrag von Dr. Hedwig Brüchert zum Gedenktag für die Opfer des National-sozialismus am 27. Januar 2014

Bis heute steht das Wort auch im Englischen für eine beispiellose Rettungsaktion: Kindertransporte. Es ging dabei um die Rettung jüdischer Kinder aus Deutschland, die nach den Pogromen des 9. November 1938 im Ausland Aufnahme fanden. Bewegende Schicksale auch aus unserer Region schilderte die Mainzer Historikerin Dr. Hedwig Brüchert in ihrem Vortrag beim Geschichtsverein Nierstein am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus im Rathaus. Von ihren später in den Vernichtungslagern ermordeten Eltern getrennt, wuchsen sie bei fremden Menschen auf, viele von ihnen mussten sich nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in den von den Deutschen besetzten Ländern verstecken oder wurden, wie in England, ungeachtet ihres Flüchtlingsstatus als "feindliche Ausländer" interniert.

   
Kindertransporte

Schon sofort nach der Machtergreifung Hitlers 1933 begann die Entrechtung der Juden. Sie durften keine höheren Schulen besuchen, weder öffentliche Schwimmbäder noch Kinos betreten und wurden als Beamte entlassen, ja sie mussten ihre Vornamen ändern. Als bei den Pogromen 1938 nicht nur die Synagogen brannten, sondern auch die Wohnungen und Geschäfte der jüdischen Mitbürger verwüstet wurden, empörte sich die Weltöffentlichkeit und das britische Parlament beschloss ein Programm "Rettet die jüdischen Kinder", dem sich Belgien, Frankreich, die Niederlande und die Schweiz anschlossen. In den USA scheiterte die erhoffte Aufnahme von 20.000 Kindern an der ablehnenden Haltung des Senats.

Die Historikerin verwies in diesem Zusammenhang auf die strengen Einwanderungsbestimmungen in vielen Ländern, die nach der Wirtschaftskrise einer Flut mittelloser Flüchtlinge vorbeugen wollten. Die deutschen Juden hatten es deshalb schwer, ein Aufnahmeland zu finden, zumal für ihren Aufenthalt Bürgschaften gefordert wurden. Umso großherziger war die Bereitschaft, zumindest gefährdete Kinder aufzunehmen. Den Kindertransporten legte zu jener Zeit die NS-Regierung nichts in den Weg, man wollte möglichst viele Juden ins Ausland drängen.

England erklärte sich bereit, 10.000 jüdische Kinder im Alter von drei bis 17 Jahren aufzunehmen, wenn Hilfsorganisationen die Kosten übernahmen. Der Aufenthalt sollte nur bis zum Ende einer Ausbildung befristet sein, die Ausbildung sich auf Landwirtschaft und Hauswirtschaft beschränken. Viele blieben ihr Leben lang in England, manche gingen nach Israel. Heimweh empfanden viele, die gebürtige Mainzerin Lotte Kramer verfasste einen Gedichtband unter dem Titel 'Homesick'.

Vorsitzender Hans-Peter Hexemer machte deutlich, dass die Situation der Flüchtlinge heute auch vor dem Hintergrund deutscher Geschichte von Deutschland besondere Sensibilität erfordere und eine große Aufnahmebereitschaft. "Wir sollten im Gedächtnis an die damals Verfolgten, den Menschen, die heute auf der Flucht sind, Schutz und Unterstützung gewähren."
 

Bild: Axel Schwarz

 

     
Nierstein, März 2014