Das Kornsand-Verbrechen
Dokumentation zur Ausstellung 17. bis 24. März 2006
Paul-Hexemer-Begegnungsstätte Nierstein
 
Der Blick in die Vergangenheit ist immer auch ein Blick in die Gegenwart.

Am 21. März 1945 wurden auf dem rechtsrheinischen Kornsand gegenüber Nierstein fünf Niersteiner und ein Oppenheimer Bürger ermordet. Am selben Tag zogen amerikanische Truppen in die Gemeinden links des Rheins. Der Krieg dort war beendet.
 
Rechts des Rheins begingen verblendete Nationalsozialisten das Verbrechen, dem Cerry und Johann Eller, Georg Eberhardt, Rudolf Gruber, Nikolaus Lerch und und Jakob Schuch zum Opfer fielen. Sechs Menschen, von denen fünf dafür bekannt sind, dass sie den aufrechten Gang auch in den düsteren Zeiten des Naziregimes nicht verloren haben.
 
Drei Täter sitzen Jahre später auf der Anklagebank. Einer hat verleumdet, einer gerichtet, einer getötet. Die Zeugen, die sich auf dem Kornsand für eine letzte verlorene Schlacht hätten verheizen lassen sollen, weigern sich zwar die Erschießung vorzunehmen, aber sind sie nicht dennoch mitschuldig geworden? Durch wegschauen, Feigheit, durch Zulassen…
 
Die Tat auf dem Kornsand war das Ergebnis von politischer Verblendung, Verleumdung, Hass und menschlicher Verrohung. Sie steht bis heute symbolhaft für die Unmenschlichkeit und Unbarmherzigkeit der Nazi-Diktatur. Die Erinnerung an das Verbrechen muss deshalb wach gehalten werden.
Aus Anlass des 60. Jahrestages der Kornsand-Morde hat die Gemeinde Trebur die Ausstellung "Das Kornsand-Verbrechen" konzipiert und realisiert. Sie wird vom Geschichtsverein Nierstein in Zusammenarbeit mit der Arbeiterwohlfahrt nun erstmals in Nierstein gezeigt.
 
Das Gedenken an das Verbrechen soll nicht nur die Opfer ehren. Vielmehr muss es die Selbstverpflichtung für heute und morgen beinhalten, für eine menschliche und solidarische Gesellschaft einzutreten. Dafür müssen wir alle einstehen.


Hans-Peter Hexemer
2. Vorsitzender des Geschichtsvereins Nierstein

        




 

Chronologie des Kornsandverbrechens

Januar 1945, Oppenheim / Nierstein
Im Januar 1945 wird der Raum Oppenheim-Nierstein zum Brückenkopf erklärt. Hauptmann Hanske, zum Kampfkommandanten mit Gefechtsstand in Nierstein ernannt, bereitet die örtlichen Verteidigungs-maßnahmen vor.

13. oder 14. März, Oppenheim
Als am 13. oder 14. März Alarmstufe II befohlen wird, verlegt Hanske seinen Gefechtsstand nach Oppenheim. Gleichzeitig wird an der Fähre zum Kornsand eine Auffangstelle eingerichtet: Militär- und Zivilpersonen dürfen nur noch mit Genehmigung der Dienststelle übersetzen. Leutnant Hans Kaiser und weitere Offiziere werden Hauptmann Hanske zugeteilt.

Mitte März, Oppenheim
Mitte März trifft Leutnant Alfred Schniering in Oppenheim ein und nimmt in dem einst von ihm geleiteten Parteischulungslager Quartier. Er tritt mit Hauptmann Hanske in Verbindung, um in dessen Stab mitzuarbeiten. Hanske lehnt dieses Angebot jedoch ab, da Schniering nicht im Wehrverhältnis stehe. Als Mitarbeiter des Reichsverteidigungskommissars West, Gauleiter Sprenger, hat Schniering in Frankfurt zuvor politische Staffeln aus Amtsleitern der Partei zusammengestellt.

16. März, Nierstein
Zwei Unterführer eines Sonderkommandos suchen in Nierstein Ortsgruppenleiter Georg Ludwig Bittel auf. Sie zeigen ein Schreiben des Gauleiters Sprenger vor, wonach alle Dienststellen bei Androhung der Todesstrafe dem im Brückenkopf Oppenheim eingesetzten Sonderkommando jede erdenkliche Hilfe zu leisten hätten. Die Unterführer fordern acht bis zehn Parteigenossen für den 18. März zur Verrichtung von Arbeiten jenseits des Rheins. Ein Unterführer fragt Bittel, ob sich in Nierstein "auf politischem Gebiet etwas ereigne". Als Bittel verneint, wirft der Unterführer Bittel Versäumnisse vor; er gibt ihm unter Hinweis auf seine Notizen zu verstehen, dass er über die politischen Gegner informiert sei. Er nennt die Namen der Niersteiner Bürger Schmidt und Schuch.

17. März 1945, Weilbach (im Taunus)
Leutnant Heinrich Funk will seine von Nierstein in den Raum Groß-Gerau evakuierte Familie besuchen. Bei Nierstein wird er von einem Posten aufgehalten, worauf er sich beim Kampfkommandanten in Oppenheim meldet. Dort erhält er den Auftrag, Truppen zu sammeln und den im Brückenkopf eingesetzten Einheiten zuzuführen. Während seines Einsatzes trifft Leutnant Funk auf Ortsgruppenleiter Bittel aus Nierstein und unternimmt mit ihm eine Dienstfahrt nach Dexheim.

17. März, Nierstein
Um der Auflage des Sonderkommandos nachzukommen, beruft Bittel Bürgermeister Strub und Gemeindesekretär Lerch telefonisch zu einer Besprechung um 20.30 Uhr zu sich. Vorher erhält er jedoch einen Brief des Sonderkommandos: das Arbeitskommando aus Parteigenossen werde nicht mehr benötigt, stattdessen sei ein Arbeitskommando von politischen Gegnern für Schanzarbeiten auf der rechten Rheinseite zu stellen. In diesem Schreiben wurden namentlich erwähnt: Johann Eller, Cerry Eller, Georg Eberhardt, Jakob Schuch, Nikolaus Lerch, Ludwig Ebling, Andreas Licht, Philipp Spieß, außerdem weitere politisch missliebige Personen, die noch zu ermitteln seien. Bittel fordert Gemeindesekretär Lerch auf, die alte Liste politischer Gegner von 1933 mitzubringen. Diese ist jedoch nicht mehr auffindbar.
Beim Treffen eröffnet Bittel Bürgermeister Strub, Gemeindesekretär Lerch und dem stellvertretenden Ortsgruppenleiter Lobmüller, dass bei einer Einschließung des Ortes die "unruhigen Elemente" aus Sicherheitsgründen über den Rhein geschafft werden müssten; die genannten Personen sollten verhaftet und auf der rechten Rheinseite eingesetzt werden.
Auf die Frage von Strub, was die Leute getan hätten, zuckt Bittel mit der Schulter und erklärt, Eller sei "immer ein frecher Mensch" gewesen. Als auch die anderen gegen eine Verhaftung Einspruch erheben, weil u.a. seit längerer Zeit kein Niersteiner Bürger mehr aus politischen Gründen verhaftet worden sei, lässt Bittel das Thema fallen.

18. März, Nachmittag, Nierstein
Johann Eller, Cerry Eller, Georg Eberhardt, Jakob Schuch, Nikolaus Lerch und Ludwig Ebling werden in ihren Wohnungen verhaftet und auf die Bürgermeisterei gebracht. In einem Schulsaal werden sie nach Waffen durchsucht und mit dem Gesicht zur Wand aufgestellt. Gleichzeitig wird ihnen verboten, miteinander zu sprechen. Als Andreas Licht verhaftet werden soll, bittet dessen Sohn Hans Licht Bittel vergeblich, sich für seinen Vater zu verwenden. Später trifft Hans Licht Dr. Zimmermann, der für das Sanitätswesen in Nierstein verantwortlich ist. Dieser erwirkt die Freistellung von Andreas Licht. Philipp Spiess kann rechtzeitig gewarnt werden.
Schniering fährt am Nachmittag im PKW nach Nierstein zu Bürgermeister Strub, um für den Gauorganisationsleiter sechs Kisten Wein abzuholen. Während des Besuchs melden sich mehrere zurückgehende Soldaten bei Bürgermeister Strub. Schniering ruft jedes Mal aus: "Wird erschossen." Später hält Schniering vor den in Nierstein untergebrachten Staffelleuten eine Rede: eindringende Panzer müssten mit der Panzerfaust abgewehrt werden; der Feind dürfe nur über ihre Leichen vorrücken.

18. März, Abend, Kornsand
Staffelleute bringen die sechs Gefangenen zur Fähre und setzen über den Rhein. Vom Kornsand werden sie zur Kreisleitung nach Groß-Gerau transportiert. Von dort werden sie zur Polizeiwache Groß-Gerau abgeschoben, mit der Begründung, sie würden als Polizeigefangene überstellt, weil sie Kommunisten seien. Die Verhafteten werden in zwei Zellen eingeschlossen, in denen sie bis zum 20. März gegen 13 Uhr bleiben müssen.

19. März, Oppenheim
Schniering sendet ein Telegramm an den Gauleiter und Reichsverteidigungskommissar West: "Oppenheim ist in Verteidigungszustand. Der Brückenkopf wird bis zum letzten Mann gehalten. Es lebe der Führer!"

20. März, nach 13 Uhr, Groß-Gerau
Die Niersteiner werden von Groß-Gerau zu Fuß zur Gestapo in Darmstadt gebracht. Der sie dort vernehmende Beamte erklärt ihnen, sie seien wegen Aufwiegelei verhaftet, er sei jedoch der Meinung, dass es sich mehr um eine persönliche Angelegenheit handele. Die Verhafteten verbringen die Nacht zum 21. März im Gefängnis in Darmstadt.

20. auf 21. März, Kornsand
Hauptmann Hanske erhält gegen 1 Uhr den Befehl, den Brückenkopf Oppenheim-Nierstein zu räumen und die Truppen rechtsrheinisch in Stellungen einzuweisen. Die Räumung ist am 21. März gegen 11 Uhr beendet.
Mit dem Stab Hanske setzt auch Leutnant Funk am Morgen des 21. März auf den Kornsand über. Er trifft gegen 6 Uhr auf der rechten Rheinseite ein. Dort wartet er auf Hanske, der den Rückzug in Nierstein überwacht.
Mit den Truppen setzt auch Schniering am frühen Morgen mit seinem Pkw über und begibt sich in die am Kornsand gelegene Gastwirtschaft Wehner. Hier findet er etwa zehn Volkssturmleute vor, die zur Bewachung des Fährverkehrs eingesetzt sind. Schniering, der zu Offiziersmütze und Wehrmachtshose einen braunen Parteirock trägt, erklärt diesen, er sei der Stellvertreter des Gauleiters und führe das Kommando auf dem Kornsand. Da er der letzte Mann in brauner Uniform sei, habe er das Standrecht.

21. März, gegen 8 Uhr, Darmstadt
Der Gestapo-Beamte, der die Niersteiner vernommen hat, teilt ihnen mit: "Ihr seid wieder frei und könnt Euch nach Hause zu Euren Familien begeben." Allerdings gibt er ihnen keine Entlassungsbescheinigung mit.
Vor 11 Uhr fährt Schniering nach Oppenheim, weil dort wegen der nahenden US-Panzer weiße Fahnen gehisst wurden. Er versucht Bürgermeister Scheller zu verhaften. Dieser wird gewarnt und kann untertauchen.
Etwa sechs Kilometer vor dem Kornsand werden die Niersteiner von Ortsgruppenleiter Bittel überholt, der sich mit seinem Wagen Hauptmann Hanske für die Räumung zur Verfügung gestellt hat. Bittel kommt von Goddelau und fährt einen Offizier des Stabes. Als sich sein Begleiter wundert, dass sich die Leute Richtung Rhein, also frontwärts, bewegen und fragt, ob Bittel sie kenne, erwidert Bittel: Dies seien die Leute, von denen am Abend zuvor in den Räumen des Kampfkommandanten gesprochen worden sei. Der Offizier gibt zu bedenken: "Diese Leute wollen doch sicher über den Rhein, die haben die Aufstellung der zwei neuen Divisionen gesehen und können alles verraten."

21. März, Vormittag, Kornsand
Als Bittel und der Offizier auf dem Kornsand ankommen, informiert der Offizier Leutnant Funk über die bevorstehende Ankunft der Niersteiner. Nähere Informationen über die Gruppe und ihren ursprünglichen Auftrag als Arbeitskommando am Kornsand erhält Funk aber von Bittel.
Da Bittel weiß, dass Funk die Niersteiner ebenfalls kennt, benutzt er im Gespräch deren Dorfnamen "Schuche schwarzer" und "Lerch Nickel". Funk befürchtet, die Gruppe könne Stellungen verraten: "Ich weiß, was das bedeutet, wenn diese Leute jetzt hinüber kommen... Die Folgen können sich die an den Hut stecken, die die Verhaftung veranlasst haben, ich unternehme nichts." Funk lässt dann Bittel stehen und begibt sich zur Fähre.
Hauptmann Hanske führt am Kornsand noch eine Besprechung mit den Offizieren seines Stabes durch. Funk erhält den Befehl, die Fähre nur noch fahren zu lassen, wenn sich auf der anderen Seite deutsche Soldaten zeigen; die Fähre dürfe unter keinen Umständen in Feindeshand fallen; im rechten Augenblick solle sie gesprengt werden. Bittel fährt Hauptmann Hanske nach Goddelau. Von dort aus folgt er seiner Familie, die als politisch gefährdet bereits mehrere Tage vorher evakuiert worden war.
An der Fähre trifft Funk Leutnant Kaiser. Funk berichtet ihm von den Niersteinern, die er kenne; ihnen sei auf Grund ihres früheren politischen Verhaltens alles zuzutrauen.
Schniering trifft inzwischen wieder aus Nierstein mit der Fähre auf dem Kornsand ein. Da Funk Schniering noch nicht persönlich kennen gelernt hat, stellt er sich vor. Funk macht Schniering auf die sechs Niersteiner Bürger aufmerksam und bezeichnet sie als politisch und kriminell belastete Personen. Er könne für die Niersteiner keine Verantwortung übernehmen; er bittet Schniering, sich um die Gruppe zu kümmern.

21. März, ab 11 Uhr, Kornsand
Kurz darauf treffen die Niersteiner ein. Sie haben für ihren Rückweg von Darmstadt zuerst die Straßenbahn bis Griesheim benutzt und zweimal kürzere Strecken mit einem Fahrzeug zurückgelegt. Den größten Teil der Strecke mussten sie jedoch zu Fuß gehen, sodass sie sehr erschöpft an der Fähre anlangen. Insbesondere Cerry Eller kann sich nur mühsam weiter bewegen, ihre Füße sind wund gelaufen.
Die sechs Heimkehrer begeben sich zunächst unbehelligt auf die Fähre. Als sie jedoch darauf aufmerksam gemacht werden, dass der Fährbetrieb für nichtmilitärische Zwecke eingestellt ist, versuchen sie, mit einem in der Nähe liegenden Boot überzusetzen, nachdem ihnen der am Ufer stehende Leutnant Kaiser die Erlaubnis dazu gegeben hat. Plötzlich taucht Leutnant Funk auf und weist Kaiser darauf hin, dass diese Leute die "größten politischen Verbrecher von Nierstein" seien. Er zwingt die Heimkehrer das Boot zu verlassen. Diese gehen daraufhin erneut auf die Fähre.
Ludwig Ebling erhält von dem auf der Fähre wartenden Martin Markloff aus Nierstein dessen SA-Ausweis und macht sich auf der dem Oppenheimer Ufer zugekehrten Seite hinter dem Wetterhäuschen zu schaffen, während die übrigen Personen im Wetterhäuschen Schutz suchen.
Funk weist Schniering erneut auf die Niersteiner Gruppe hin. Er könne diese Leute auf keinen Fall hinüber lassen: "Das sind unsere größten Stromer!" Er könne nicht verstehen, dass die Gauleitung die Leute erst verhaftet und dann wieder freigelassen habe.
Funk weiß, dass Lerch früher aktiver Führer der kommunistischen Ortsgruppe war und ein Sohn Schuchs wegen Hochverrats verurteilt und hingerichtet worden war. Von Schuch weiß er weiter, dass er wegen Diebstahls, Körperverletzung, Hausfriedensbruch und ähnlicher Delikte vorbestraft war. Denn: Funk selbst war einmal mit Schuch angeklagt und verurteilt worden, weil Schuch als Mitglied der SPD und Angehöriger des Reichsbanners und Funk als Mitglied der NSDAP in einer politischen Auseinandersetzung aneinander geraten waren. Bei Eller erinnert er sich nur, dass dieser SPD-Mann war. Von Eberhardt und Ebling, letzterer war tatsächlich 1935 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt worden, weiß Funk nur, dass sie zu linksgerichteten Kreisen gehören. Er kennt die Verurteilung seines einstigen Schulkameraden Ebling nicht, auch keine politischen Tätigkeiten von Frau Eller.
Kurz bevor die Fähre ablegen soll wendet sich Funk erneut an Schniering: "Die dürfen nicht hinüber, das sind Kommunisten! Wenn die rüber kommen, dann bringen sie unsere Eltern um, ich bin selbst von Nierstein!" Schniering reagiert mit den Worten: "Raus, die werden erschossen."
Schniering gibt Volkssturmmännern der Brückenwache den Befehl, die Männer zu verhaften. Daraufhin werden Eller, Eberhardt, Schuch und Lerch verhaftet und in die Gaststätte Wehner gebracht. Zehn Minuten später wird auch Frau Eller geholt und in die Gaststätte gebracht.

21. März, gegen Mittag, Kornsand
Schniering verhört die verhafteten Männer, nimmt ihnen die Wertsachen und Papiere ab und erklärt ihnen, dass sie erschossen würden. Sie seien Kommunisten, und: "Ihr habt doch gesessen." Die Leute, die eingeschüchtert sind, machen Schniering darauf aufmerksam, dass sie von Darmstadt kämen und dort von der Gestapo zur Rückkehr in ihren Heimatort entlassen worden seien. Schniering ignoriert jedoch diese Aussagen.

21. März, 12 bis 14 Uhr, Kornsand
Schniering lässt die Männer unter Bewachung zweier Volkssturmleute auf dem Hof aufstellen. Als die von der Fähre kommende Cerry Eller im Hof ihren Mann sieht, läuft sie zu ihm und umarmt ihn. Schniering schreit sie an, wie sie sich als Jüdin unterstehen könne, einen deutschen Mann zu umarmen. Frau Eller sagt nur, dies sei ihr Ehemann.
An der Fähre trifft Schniering auf den Volkssturmmann Rudolf Gruber aus Oppenheim. Gruber kann sich nicht durch einen Urlaubsschein ausweisen, gibt aber an, er habe nur noch einen Rucksack von der anderen Rheinseite holen wollen, den er in einem Gasthof habe liegen lassen. Schniering beschuldigt Gruber, dass er Fahnenflucht begangen habe und deswegen erschossen werde; er befiehlt ihm, sich zu den Verhafteten in den Hof zu stellen. Wenn seine Angaben bezüglich des Rucksacks stimmen sollten, fügt Schniering hinzu, könne sein Kopf noch gerettet werden. Als Volkssturmmann Jertz, der die Angaben Grubers nachprüfen soll, einem Leutnant meldet, dass bei einem Oppenheimer Gastwirt tatsächlich drei Rucksäcke gelegen haben, in der Zwischenzeit aber verloren gegangen sind, erklärt dieser Leutnant, dass das alles nicht mehr wichtig sei, Gruber habe die Fahnenflucht ja eingestanden.
Bevor Martin Markloff zusammen mit dem der Verhaftung entgangenen Ludwig Ebling mit der Fähre übersetzt, fragt er Schniering in der Wirtschaft Wehner, was mit den sechs Verhafteten geschehen würde. Schniering erwidert, dass die Leute "umgelegt" würden. Markloff wird Zeuge eines Gesprächs zwischen Schniering, Leutnant Funk und einem weiteren Offizier. Die drei unterhalten sich darüber, wie man die Exekution an den Verhafteten vollziehen solle. Schniering meint, man solle sie am besten an den Rhein stellen und ldort erschießen und absaufen lassen. Der Offizier schlägt vor, man solle sie wie in Russland ihr Grab schaufeln lassen und dann durch Genickschuss erledigen.

21. März, Gaststätte Wehner
Schniering geht noch einmal in die Gaststätte. Kaiser kommt hinzu. Beide sitzen längere Zeit zusammen und unterhalten sich auch über die Erschießung der Opfer. Kaiser verlässt dann die Gaststätte, Schniering bleibt zurück. Nachdem er einige Zeit am Tisch geschlafen hat, äußert er zu den anwesenden Volkssturmleuten: Jetzt wollen wir uns mit denen da draußen befassen. Er versucht vergeblich, eine Reihe von Volkssturmleuten und politischen Staffelmännern zu überreden, die Erschießung der Opfer durchzuführen.

21. März, gegen 14 Uhr, Flakstellung
Schließlich befiehlt Schniering gegen 14 Uhr einigen Volkssturmmännern, die Opfer in die etwa 800 Meter entfernte Stellung eines Flakzuges zu bringen. Er selbst begibt sich mit seinem Fahrer auch dorthin und lässt die Verhafteten sich unter Bewachung der Volkssturmleute in unmittelbarer Nähe der Zugführerbaracke an der Straße aufstellen.
Dann führen Schniering und ein Volkssturmmann die Niersteiner zu einem Feld in der Nähe der Flakstellung. Dort zeigt Schniering den Opfern, wo sie ihre Gräber schaufeln sollen. Er kehrt in die Flakstellung zurück, von wo aus man den Erschießungsort sehen kann. Der Volkssturmann meldet Schniering durch Zuruf, dass die Leute fertig seien. Schniering kommt darauf zu ihm und fordert ihn auf, die Opfer zu erschießen. Der Volkssturmmann lehnt jedoch ab. Daraufhin gehen beide zur Flakstellung. Die sechs Opfer bleiben einige Minuten unbewacht. Auch Flakzugführer Ertl weigert sich, die fünf Männer und die Frau zu erschießen. Schniering wiederholt, die Verhafteten seien kommunistischer Umtriebe schuldig; er veranlasst Ertl, den Zug nahe der Zugführerbaracke antreten zu lassen.
Inzwischen sind auch Leutnant Kaiser und Leutnant Wesemann in der Flakstellung eingetroffen. Als sich keiner der Soldaten freiwillig zur Exekution meldet, bespricht sich Schniering mit Kaiser und Wesemann. Auch Leutnant Wesemann lehnt es ab, die Leute zu erschießen. Daraufhin erklärt Leutnant Kaiser: "Nun, dann gehe ich schon und mache es."
Er begibt sich allein zu den bei ihren Gräbern zurückgebliebenen Opfern und tötet sie der Reihe nach durch Genickschuss. Zuletzt erlaubt er Frau Eller auf ihre Bitte, sich umzuwenden und noch einmal über den Rhein nach ihrem Heimatort zu schauen. Nach der Bluttat werden die Gräber von einigen sowjetischen Kriegsgefangenen zugeschaufelt.

21. März, zwischen 14 und 16 Uhr
Die Fähre am Kornsand wird gesprengt.
Auf dem Kirchturm von Nierstein hissen die Bewohner die weiße Fahne. Schniering lässt daraufhin aus der Stellung im Kornsand den Ort beschießen.
Die 3. Amerikanische Armee unter Führung von General George S. Patton erreicht den Rhein und nimmt Oppenheim und Nierstein kampflos ein.

22. März, 22.30 Uhr
Am Rheinufer von Oppenheim besteigen die Sturmtruppen der 5. US-Division ihre Schlauchboote. Je sieben Mann paddeln in den 500 bereitgestellten Booten zur anderen Rheinseite.

18. April Kornsand / Nierstein
Wochen nach der Tat haben die Angehörigen der Opfer noch immer keine Klarheit über deren Schicksal. In Nierstein kursiert das Gerücht, man habe sie auf dem Kornsand erschossen. Schließlich meldet der Wirt des Gasthauses Wehner seine Beobachtungen der amerikanischen Besatzungsbehörde.
Erst vier Wochen nach dem Mord, am 18. April 1945, gräbt man die Leichen aus.
Unter starker Anteilnahme der Bevölkerung werden die Ermordeten über den Rhein gebracht und in ihren Heimatgemeinden würdig beigesetzt.

1949 - 1953 Mainz
Es dauert dreieinhalb bzw. fast fünf Jahre, bis die Täter gefasst und vor Gericht gestellt werden.
Am 24. September 1949 verurteilt die I. Strafkammer des Landgerichts in Mainz wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit Alfred Schniering zu lebenslänglichem Zuchthaus und Ehrverlust und Hans Kaiser zu 10 Jahren Gefängnis. Georg Ludwig Bittel wird trotz erheblichen Tatverdachts mangels Beweisen freigesprochen.
Am 7. Dezember 1950 wird Heinrich Funk vom Schwurgericht des Landgerichts Mainz wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. In der Revisionsverhandlung wird er am 14. September 1953 nur noch wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit unterlassener Hilfeleistung zu einer Gefängnisstrafe von 11 Monaten verurteilt.

 

Literatur
Justiz und NS-Verbrechen: Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945-1999, bearb. im: Seminarium voor Strafrecht en Strafrechtspleging Van Hamel der Universität Amsterdam,
Amsterdam und München 1968ff.
Band 5. Die vom 03.06.1949 bis zum 21.12.1949 ergangenen Strafurteile: lfd. Nr. 148-191, 1970
Band 11. Die vom 17.06.1953 bis zum 04.12.1953 ergangenen Strafurteile: lfd. Nr. 360-383, 1974.
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) - Bund der Antifaschisten, Kreis Mainz-Bingen (Hrsg.): Das Kornsand-Verbrechen. Eine Dokumentation, Oppenheim 1980.
Raimund Darmstadt, Die Kornsand-Morde. Eine Dokumentation der Nazi-Verbrechen der letzten Kriegstage, unveränderter Nachdruck des gleichlautenden Artikels in: Mainzer Geschichtsblätter, Veröffentlichungen des Vereins für Sozialgeschichte Mainz e.V. (Hrsg.), Heft 5 (1989), S. 147-174
Heinz Leiwig, Finale 1945 Rhein-Main, Düsseldorf 1985.

Ausstellung
"Das Kornsand-Verbrechen"
17. bis 24. März 2006
Paul-Hexemer-Begegnungsstätte
Nierstein

Impressum
Herausgeber: Geschichtsverein Nierstein, Hans-Peter Hexemer
unter Verwendung des von der Gemeinde Trebur 2005 veröffentlichten Faltblatts
Bearbeitung: Armin Weber
Gestaltung: G·S Grafik & Satz, Mühltal (06151) 9518085
Druck: Satz + Druck Werum Mainz (06131) 583380
Bearbeitung der Internetversion: Christian Thiel, Nackenheim