Das Dalberg-Herdingsche Schloß in Nierstein

 

Ein besonderes Juwel, das sich in der Niersteiner Rheinstrasse im Verwaltungsgebäude der Mälzerei, dem ehemaligen Dalberg-Herdingschen Schloss, befindet, ist die kleine Hauskapelle.


Das Dalberg-Herdingsche Schloß in Nierstein     

Bevor ich näher auf die Kapelle eingehe, möchte ich zuerst einen Blick in die ältere Vergangenheit werfen: Auf dem Gelände der heutigen Malzfabrik stand früher das Dalbergische (von Cronenbergische) freiadlige Gut. Es bestand lt. Designation aller in der Niersteiner und Schwabsburger Gemarkung gelegenen freiadligen Güter und Gutshäuser vom 17. Mai 1753 aus "einem freiadligen Haus nebst Scheuer, Stallung und Garten von 4 Morgen grenzend nach Worms an die Rheingaß, nach Mayntz die Breitgaß, nach dem Rhein die Carthäußer und die Aptsgaßen, nach dem Gau Herr von Frankenstein."
Auch die berühmte Weinbergslage "Glöck" (die älteste urkundlich erwähnte Weinbergslage in Deutschland), die 742 zum erstenmal erwähnt wurde, als der fränkische Hausmeier Karlmann den Weinberg dem Fürstbischof Wolfgar von Würzburg schenkte, gehörte zu diesem Besitz.

 

Zum Beginn des 19. Jh. sind die Freiherren von Herding Besitzer des Dalbergischen Gutes geworden. Am 1. Oktober 1836 wurde dann der Grundstein zum Bau des Herdingschen Schlosses gelegt. Ein Gedenkstein befindet sich noch heute im Keller der Mälzerei und lautet:
    

Excelenz
Freifrau von Herding
geborene Gräfin
von Seint Martin
----------
Hochwohlgeboren
?enherrn Freiherr
Max von Herding
König. Bayrischer
Kammerherr
Ihrer Durchlaucht
Frau Fürstin
Von Ysenburg
---------
Herr C. Schmidt
Geschäftsführer
Ihrer Excelenz Frei-
frau von Herding
Herr A. Mutisch-
Lechner Baumeister
---------

Aufgestellt d.: 1 TE
Oktober 1836



Innenraum mit Freskenmalerei des Dalberg-Herdingschen Schlosses in Nierstein

      

 

Freifrau Ursula von Herding geb. von Ysenburg ließ das Schloss in den Jahren 1839 - 1842 erbauen. Es wurden italienische Vorbilder herangezogen. Im Mittelbau sehen wir eine rundbogische Tordurchfahrt mit je 2 rundbogischen Fenstern, im ersten Stock 5 Fenster in gerader Form, darüber ein fünfachsiger vorgezogener Mittelrisalit. Zu beiden Seiten schließen sich je 4 Fensterachsen an, wiederum rundbogig im Erdgeschoß und gerade im 1. Stockwerk. Rundfenster dienen als Lichtquellen in oberen Stockwerk. Das Dach ist flach geneigt. Im hinteren Teil des rechten Seitenflügels befindet sich die Hauskapelle mit Blick auf den großen Garten, die Weinbergslage Glöck und die Kilianskirche, die Ursula von Herding, eine kunstsinnige Frau, von Jakob Götzenberger ausmalen ließ und der hier etwas wirklich Großes geschaffen hat. In der Mannheimer Zeit Götzenbergers fällt die Ausmalung der Niersteiner Dalberg-Herdingschen Schlosskapelle eine Freskenmalerei im Stiel der "Nazarener", eine romantische Synthese von Religion und Natur.
Ein Fresko ist normalerweise eine Wandmalerei mit Wasserfarben in den noch nassen Verputz, der sich mit den Farben verbindet und sehr beständige Gemälde schafft. Die berühmtesten Freskenmaler waren Michelangelo und Raffael.
Wenn man die Kapelle betritt, so bestechen die leuchtenden Farben aber auch die monumentalen, realistisch gemalten einzelnen Szenen und Personen, die den Geschmack der damaligen Zeit widerspiegeln. Dass die Farben heute noch so frisch erscheinen, führt man auf die sogenannte enkaustische Malweise zurück, wo Wachsfarben in flüssig-warmem Zustand auf die Wandflächen aufgetragen werden. Vorteilhaft ist sicherlich auch, dass die Kapelle nach Norden liegt, wo kaum direkte Sonneneinstrahlung stattfindet.

 
 
 

 

Das Hauptgemälde in der Apsis der Kapelle ist das der Anbetung des Christuskindes durch die drei Weisen; darüber schweben Engel mit Leidenswerkzeugen, die schon einen Hinweis geben auf den weiteren Weg Jesus. Weiter oben im Gewölbe sieht man das Gemälde der Himmelfahrt und Krönung Marias im Himmel. Alles ist umrankt mit herrlichen Dekorationen. An den Seitenwänden sind kleinere Gemälde zu finden. Auf der einen Seite der Evangelist Johannes, der an seiner Offenbarung schreibt. Das Papier in der linken Hand zeigt in Kürze Kapitel 1, Vers 1 der Offenbarung. "Das ist die Offenbarung Jesu Christi, die ihm Gott gegeben hat, seinen Knechten zu zeigen, was in Kürze geschehen soll; und hat sie gedeutet und gesandt durch seinen Engel zu seinem Johannes." Im Kelch rechts von Johannes ruht die Schlange, Symbol des Satans, und weist auf die Überwindung des Bösen durch das Evangelium hin; im Hintergrund Felsen, eine Palme und das Meer, der Verbannungsort des Johannes auf der Insel Patmos.
Auf der gegenüberliegenden Seite finden wir das Bild von Maria Magdalena als Büßerin; neben ihr Kreuz, Bibel und Totenkopf (Vanitasmotiv) als Hinweis auf die Vergänglichkeit des Lebens. Weitere Gemälde stellen die drei theologischen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe dar. Es folgen Gemälde des Hl. Bischofs Bruno und der Hl. Ursula, Namenspatronin der Stifterin der Kapelle, Freifrau Ursula von Herding geb. von Ysenburg.

Niersteiner Bürger haben Götzenberger beim Malen Modell gestanden. So wissen wir z.B. wer sich hinter den beiden Kinderköpfchen in der Fensternische verbirgt. Das Köpfchen auf der linken Seite stellt das Kind des ehemaligen Schlossgutsverwalter Eicher, die spätere Frau des Bäckermeisters Naab dar; das Köpfchen auf der rechten Seite die 3-jährige Tochter des Schiffsbesitzers Peter Kehl, die spätere Frau des Weingutsverwalters Georg Schätzler. Einer der drei Weisen aus dem Morgenlande auf dem Altarbild stellt den ehemaligen Besitzer der Posthalterei und Wirt des Gasthauses zum Gelben Haus (das Gelbe Haus wurde abgerissen, als die Villa Guntrum gebaut wurde) Ludwig Deidesheimer dar (derjenige mit dem ornamentalen Muster auf der Kleidung).

Ursula von Herding geb. Ysenburg hat nie ihren Wohnsitz von München nach Nierstein verlegt. Wahrscheinlich hat sie nur zeitweilig ihr Schloss in Nierstein besucht. Sie setzte einen Verwalter namens Eicher ein, der sich um ihren Niersteiner Besitz kümmerte. Als sie 1860 starb, erbte ihr Neffe, ein österreichischer Offizier aus Wien das Niersteiner Schlossgut, der es wegen Spielschulden bei einem Wiener Geschäftsmann verpfändete. Dieser ließ es versteigern. Die Weinberge Pettental, Flächenhahl und Lehngarten wurden von dem Weingut Hermann Schmitt gesteigert. Die berühmte Weinbergslage Glöck kam in den Besitz von Philipp Fink Erben, Mainz und später an die Weinbaudomäne, die sie heute noch besitzt. Ein Bierbrauer kaufte das Gebäude und baut im Hof eine Malzfabrik und Bierbrauerei auf. Das Gebäude diente der Verwaltung des Betriebes. Heute gehört die Mälzerei der Firma Durst.

Frühere Inhaber waren:

  • 1909 AG Rheinische Bierbrauerei, Weisenau
  • 1919 Malzfabrik Nierstein GmbH
  • 1939 Malzfabrik Nierstein KG, Ludwigshafen
  • 1955 Niersteiner Mälzerei GmbH, Mannheim

Wir können froh und dankbar sein, dass die Besitzer der verschiedenen Mälzereien uns das Kleinod in so gutem Zustand erhalten haben und dass der heutige Besitzer uns nach Möglichkeit die Gelegenheit gibt, die Kapelle, dieses Juwel, in Augenschein zu nehmen.

 

Literatur:
1. G. Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Rheinland-Pfalz-Saarland, 2. bearbeitete Auflage 1984, München - Berlin 1984, S. 752.
2. K. Hane: Die Wandmalereien im ehemaligen Herdingschen Schloß
3. E.A. Lattreuter: Die Freskomalerei im ehemaligen Dalberg-Herdingschen Schloß
4. Thieme-Becker: Allgemeines Lexikon der bild. Künstler, Bd. 14, Leipzig 1921, Sp. 327.
5. Archiv der Fa. Durst: Verschiedene Materialien


Elli Fischer-Zimmermann - 2005

 

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