Der "Mathildenhof" in Nierstein am Rhein

Mathildenhof

Mathildenhof von der Langgasse aus

   
Über die Jahrhunderte erfuhr der Landsitz, der heute in der Ortsmitte von Nierstein liegt, viele Umbauten und Besitzerwechsel. Die folgende Zusammenfassung zur Gutsgeschichte stützt sich auf die Archivarbeit und Bauforschung von Dr. habil. Clemens Alexander Wimmer, Potsdam, die in detaillierter Form demnächst unter www.ahr-info.de abrufbar sein wird.

Ursprünglich wurde die Hofreite "Sontheim" oder "Sundheim" genannt und lag außerhalb des Ortskerns.

Im Keller des Westflügels befinden sich an einem Türsturz aus rotem Sandstein die Jahreszahl 1574 und das Wappen der Familie Breder von Hohenstein, das wohl ursprünglich den Hauseingang zierte. C. A. Wimmer vermutet, dass das Haus von Conrad Breder von Hohenstein herrührte, was ein Kaufvertrag von 1655 bestätigt.

Durch Heirat gelangte der Besitz in die Familie von Bubenheim. Urkundlich erwähnt wurde Caspar Wilhelm von Bubenheim, als er 1616 Gartenfelder in Nierstein pachtete. Franz Friedrich Wilhelm von Bubenheim verkaufte 1655 das Haus an Agnes Helene von Wallbrunn. Ihr Sohn Georg Reinhard von Wallbrunn blieb kinderlos und das Gut gelangte 1677 wieder an die Familie Bubenheim. Als von Wallbrunn 1677 Nierstein verließ, sollte er bis 1741 der letzte Eigentümer sein, der auf dem Hof wohnte. Seine Nachfolger waren Mainzer Hofangehörige (u. a. Franz Emmerich Wilhelm Friedrich von Bubenheim, Domdekan und Franz Anton Wolfgang Schütz von Holtzhausen), sie sahen den Hof wohl nur als Einnahmequelle. Schon für die 1680er Jahre weisen die Quellen auf einen Garten mit Gras, Kirsch- und Nussbäumen am Flügelsbach hin.

Schließlich gelangte das Gut am 15. Juli 1727 erneut in die Hände eines einflussreichen Mainzer Hofbeamten. Johann Georg von Nitschke kaufte es für 8000 Gulden. Er war Kabinettssekretär des Mainzer Fürstbischofs Lothar Franz von Schönborn und wurde 1724 geadelt. Da er ein großes Haus mit Garten und Orangerie in Mainz besaß (den späteren Wamboldter Hof), sowie weitere Güter im Umkreis von Mainz, ist davon auszugehen, dass er an dem Hof in Nierstein nur wirtschaftliche Interessen hatte. Aus einer Beschreibung von 1731 geht hervor, dass es sich um ein zweistöckiges, unterkellertes Fachwerkhaus in Rähmbauweise samt aus Stein gebauter Scheuer und Stallungen handelte. Trotzdem es von bedeutenden Adelsfamilien bewohnt wurde, war der Hof zu dieser Zeit nur etwas größer als ein einfaches Bauerngehöft. Eine Besonderheit war die gelb-silberne Tapete im Eckzimmer. Die Scheuer (ebenfalls unterkellert), das Kelterhaus und der Pferdestall waren vermutlich getrennt vom Wohnhaus errichtet worden. Die großen Keller (Großer Keller 56 Fässer, Gartenkeller 16 Fässer, Scheuer-Keller 13 Fässer, Bleichkeller 11 Fässer) weisen auf die Bedeutung des Weinbaus für den Gutshof hin.

1741 verkauften Nitschkes Erben das Gut an Freiin Sophie von Harstall, die aus Thüringer Adel stammte. Ihre verwitwete Mutter zog mit ihren Kindern nach Mainz, da die Familie Verbindungen zum Kurfürsten Lothar Franz von Schönborn hatte. Sophie von Harstall nahm an dem Niersteiner Gut bedeutende Um- und Neubauten vor, wofür ihre Finanzen nicht ausreichten. Ihr Bankrott war auch durch unlautere Geschäfte nicht aufzuhalten und am 23.11.1751 wurde auf Anweisung der Reichsritterschaft ein Inventar aller Effekten (inkl. z. B. Porzellanservice, "Caffée Mühle", "Spiegel mit verguldenen Rahmen", Plüsch- und Seidenkissen, Vorhängen, Gemälden und Hausaltar) in dem "theils Neu erbauten Hoff" angefertigt. Anhand dieses Inventars und der bauhistorischen Aufnahme des Hofes konnte C. A. Wimmer in den letzten Jahren die bis dahin unbekannten Umbauten des 18. Jahrhunderts umfassend rekonstruieren. Mit bescheidenen Mitteln versuchte die Bauherrin damals der modernen französischen Schlossarchitektur mit einer Dreiflügelanlage zu entsprechen.

Sie baute die vorhandene Scheuer zum Corp de Logis aus und verband die übrigen Gebäude zu einer Dreiflügelanlage. Auch die Kellerräume wurden signifikant erweitert. Dem alten Haus wurde ein kleiner, dreiachsiger Gartensaal mit einer Mitteltür vorgesetzt. An der Tür und an der innenliegenden imposanten Rokokokamineinfassung findet man das Harstallsche Wappen. Im Neubau entstand u. a. ein großen Saal mit sechs Fenstern, ein grüner Salon mit vier und am Ende des Gebäudes ein blaues Zimmer mit vier Fenstern, ein Zimmer mit zwei Fenstern und zwei Betten für Personal sowie ein Garderobenzimmer.

   

Mathildenhof vom Garten aus

Der rechte Flügel diente als Mägdekammer und Kelterhaus. Teile des barocken Mauerwerks sind noch vorhanden. Ein Obergeschoss dürfte laut C. A. Wimmer dort und auf dem Mittelflügel gefehlt haben. Es ist zu vermuten, dass Sophie von Harstall auch den Garten repräsentativ umgestalten lies. Nachzuweisen ist zumindest ein Ziergarten mit Wein und Obstspalier am Haus.

Bei der Zwangsversteigerung am 20. April 1752 musste der kurpfälzische Kammerherr Carl von Sternenfels für das umgebaute Anwesen bereits dreimal mehr als von Harstall rund zehn Jahre zuvor bezahlen. Sternenfels hatte bereits ein vormals den Schütz von Holzhausen gehörendes Gut in Nierstein erworben (Sternfelserhof). Auch er ging bankrott und 1770 wurde der Hof von dem einflussreichen Juristen Johann Caspar Cunzmann (später Baron Cunzmann), Hofbeamter in der Regierung des Pfälzer Kurfürsten und wohnhaft in Mannheim (Cunzmann Palais), ersteigert. Ein jahrelanger Rechtsstreit folgte der Auktion. Eine Erbin Cunzmanns gab den Hof an Margarete Benscheid weiter, die 1835 den Hof an ihren Hauptgläubiger Martin Biermann, einem Mannheimer Kaufmann abtreten musste. Biermann verkaufte wohl umgehend an den Holzhändler Kilian Schlender, dem in Nierstein bereits zahlreiche Grundstücke gehörten. Von ihm kam der Hof an den Handelsmann Carl Joseph Fritzdorff. Durch seine Tochter Friederike kam das Anwesen nach dem Tode Fritzdorffs in die Mainzer Kaufmannsfamilie Lauteren, die es 1856 in Besitz nahm und Georg Schätzler als Verwalter einsetzte, der dieses Amt über 50 Jahre versah. Ab 1861 investierte Christian Lauteren, dem der Warmbolter Hof in Mainz als Sitz seines Handelshauses und zugleich als Wohnsitz diente, beträchtige Summen in den Umbau des Hauses und in die Anlage eines neuen Gartens.

Für das Haus beauftragte er den Architekten und Stadtbaumeister (Nidda) Karl Wetter aus der Mainzer Stadtbaumeisterfamilie mit einem kompletten Umbau im Stile einer italienischen Orangerievilla, allerdings waren die Grundmauern der vorhandenen Gebäude zu verwenden. Für den Garten (und auch für die Gestaltung seines Grabes am Mainzer Hauptfriedhof) beauftragte Lauteren den Gartenarchitekten Heinrich Siesmayer, der sich mit der Gründung und Planung des Frankfurter Palmengartens und der Gestaltung wichtiger Gartenanlagen wie den Kurparks von Bad Homburg, Bad Nauheim und Wiesbaden einen Namen gemacht hatte.

Aus den Festräumen Sophie von Harstalls wurde nun eine hohe Kelterhalle, die im Winter auch als Kalthaus/Orangerie für die Kübelpflanzen des repräsentativen Gartens dient und über eine eigene Ofenheizung verfügte. Im rechten Hausflügel und im neuen Obergeschoss wurde der Repräsentation großer Raum gewidmet, während die Privaträume bescheidener ausfielen, wohl da der Hauptsitz der Familie in Mainz lag. Arbeitszimmer für den Gutsherren oder eine Verbindung zu den Wirtschaftseinrichtungen gab es nicht, obwohl diese unter demselben Dach lagen. Die Baukörpergestaltung mit flachem, überstehenden Satteldach, Turm und Veranda entsprach dem durch Schinkel in Potsdam-Charlottenhof eingeführten und durch seine Schüler weiter entwickelten italienischen Villenstil. Im Zeitgeschmack des Spätklassizismus zeigt der Bau gotische Elemente und Verzierungen. Die Innenräume (u. a. diverse Salons, ein großer repräsentativer Speisesaal und ein Billiardzimmer) wurden mit Stuckarbeiten u. a. im Neorokokostil aufwendig gestaltet.

Mathildenhof

Mathildenhof

Für eine größere Darstellung bitte auf die Bilder klicken!

   
Das hölzerne Spalierwerk an Balkon und Terrasse wurde ebenso wie die zahlreichen neuen Pavillons und die Kegelbahn von dem Gartenarchitekten Siesmayer hergestellt. Haus- und Gartenarchitekt arbeiteten eng zusammen, um das Anwesen in einen modernen repräsentativen Zweitwohnsitz zu verwandeln.

Der Hausherr war laut Steuerlisten einer der wohlhabendsten Bürger von Mainz. Den Wohlstand erwarb sich die Familie mit dem Weinhandel über mehrere Generationen, so waren die Lauteren noch vor den Familien Henkell und Kupferberg die ersten deutschen Sekterzeuger. Die Familie investierte dann in die damals modernen Infrastrukturprojekte und wurde so zu Großaktionären der hiesigen Schifffahrt- und Eisenbahnlinie. Nach Fertigstellung der Bahnlinie 1853 konnte Lauteren nun in 35 Minuten von Mainz mit "seiner" Eisenbahn nach Nierstein gelangen - und mit Familie und Gästen über die geschwungenen Gartenwege seine `Wein-Villa´ erreichen. Der Garten mit seinen Reben und der Blick vom Turm auf die Bahnlinie symbolisierten eindrucksvoll die wesentlichen wirtschaftlichen Grundlagen der Familie Lauteren. Auch in der Fassadenmalerei wird in stilisierter Form Bezug auf die Rebe und das Eisenbahnrad genommen.

Nachdem die Familie Heyl durch Baron Cornelius (I) (1886 Verleihung des Adelsprädikats `Freiherrn von Heyl zu Herrnsheim´ durch Landgraf Ludwig IV von Hessen und bei Rhein) den Besitz 1909 von der `Erbengemeinschaft Lauteren´ erworben hatten, wurde er zunächst wieder als reiner Wirtschaftsbetrieb genutzt. Die Familie von Heyl besaß zu dieser Zeit rund 11 Landgüter. Die Familie Cornelius Heyl bewohnte den Heylshof in Worms, im Sommer auch das Herrnsheimer Schloß und war zur Jagd unter anderem auf dem Kühkopf, den sie bis in die 50er Jahre des 20sten Jahrhunderts besaß. Grundlage ihres Wohlstands und ihres sozialen Aufstiegs war ihre bedeutende Lederindustrie in Worms.

Der Name des Niersteiner Landsitzes `Mathildenhof´ bezieht sich auf Mathilde Prinzessin von Ysenburg-Büdingen, Schwiegertochter des ersten Baron von Heyl zu Herrnsheim. Baron Cornelius (II) gab dem Landsitz in Nierstein nach dem Tod seiner Frau ihren Namen.
Bis in die 60er Jahre wurde der Hof als Verwalterbetrieb geführt. Dann betrieben und bewohnten Peter von Weymarn und seine Frau Isa, geb. von Meding das Weingut bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts. Frau von Weymarn ist die Enkelin von Baron Cornelius (II) und Prinzessin Mathilde. Mit großem Engagement brachte die Familie von Weymarn den Betrieb an die absolute Spitze des deutschen Weinbaus. Wichtige Impulse für den Weinbau und für die deutsche Weingesetzgebung gingen von Peter von Weymarn aus. Für viele Niersteiner wurde diese Vordenkerrolle augenfällig, als er begann, den Weingarten des Mathildenhofs in ökologischer Weise zu bewirtschafteten - eine Pionierleistung auf dem Gebiet des Öko-Weinbaus.

Im 20. Jahrhundert verloren Haus und Garten zunehmend ihren repräsentativen Charakter. Zwar wurde zweifach das Heyl´sche Wappen angebracht, aber Anbauten verunzierten die Gartenfassade, neue Einfahrten wurden gelegt, die Pavillons und die Kegelbahn verfielen oder wurden abgerissen und Teile des Gartens wurden zur Bebauung verkauft. Der über die Jahrhunderte gewachsene Weinbergbesitz wurde geschlossen von der Familie Steifensand, Eigentümer des 1786 gegründeten Weinhandelshauses P. J. Valckenberg, Worms übernommen.

Die Familie Ahr übernahm sukzessive das Anwesen von der Familie von Weymarn, kaufte den Weinbergbesitz von P. J. Valckenberg zurück und erwarb weitere Weinberge im `Roten Hang´, so dass der Betrieb heute eine Fläche von rd. 25 ha umfasst, die zu 90 % im `Roten Hang´ liegt. 2006 wurde ein Großteil der Weinbergfläche an das Weingut St. Antony für 25 Jahre verpachtet, die Marke `Heyl zu Herrnsheim´ an das Weingut St. Antony verkauft. Die Weine des Mathildenhofs werden zukünftig unter einer neuen Marke vertrieben.

2005 gründete die Familie Ahr eine gemeinnützige Stiftung, um ein weiteres Stück der ursprünglichen Gutsanlage durch Kauf von der Gemeinde Nierstein wieder dem Hof zuzufügen - den Wein- und Obstgarten.

   
Wappen Mathildenhof

Wappen Mathildenhof

Nach umfangreicher Forschungsarbeit, die unter anderem auch die hier notierte Gutsgeschichte umfasst, wird die Siesmayersche Gartenanlage nun wieder in ihrer Gesamtheit hergestellt und für die Öffentlichkeit erlebbar. Am Haus wurden die angebauten Lagerhallen und die Scheunen des 20. Jahrhunderts abgerissen und es wird Schritt für Schritt denkmalgerecht saniert. Zwei große historische Brunnenanlagen konnten 2008/2009 erworben werden, um die Verlorenen zu ersetzen. Im Jahr 2010 und 2011 wird in allen Teilen der Gartenanlage umfassend gepflanzt. Eine dem Stil des Gartenarchitekten Siesmayer entsprechende Verwendung von Bäumen, Sträuchern und Schmuckbeeten wird den imposanten Charakter der historischen Gartenanlage wieder zur Geltung bringen.

Ich danke vielen Niersteiner Nachbarn für Hinweise und Fotografien sowie M. A. Katja Augustin, Berlin, Dr. habil. Clemens Alexander Wimmer, Potsdam und Frau Dr. Swantje Duthweiler, Hannover für ihre Forschungsarbeit. Über weitere Informationen und Fotografien zu Haus und Garten freuen wir uns sehr!

 

Dr. Katharina Ahr

Text `Mathildenhof´ für Geschichtsverein Nierstein (Sept. 2009)

 

 

Aktuelle Bilder und Bilder-Galerie zur Geschichte des Mathildenhof und zum Heyl'sche Garten:

Planung 2010 Heyl'scher Garten

Planung Heyl'sche Garten

 

Gebrüder Siesmayer

 
Gebrüder Siesmayer

Siesmayer Pavillon

Siesmayer Pavillon 60er Jahre

 

Turmfassade

Turmfassade

 
Mathildenhof vom Weingarten 60er Jahre

 

Mathildenhof vom Weingarten 2009

Christian Ludwig Lauteren (1811-1888) und seine 1. Ehefrau Charlotte geb. Michel (1812-1836)

Christian Ludwig Lauteren (1811-1888) und seine 1. Ehefrau Charlotte geb. Michel (1812-1836)

 

Friederike Fritzdorff

Friederike Fritzdorff
2. Frau von Christian

Mathilden Freifrau von Heyl zu Herrnsheim

Mathilden Freifrau von Heyl zu Herrnsheim

 

Reichsherr Johann Caspar von Cunzmann

Reichsherr Johann Caspar von Cunzmann

     

 

zurück zum Rundgang durch Nierstein